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Untergegangene Hoffnungen – Titanic, Teil II: Das Schicksal der Auswanderer aus Kroatien

Auswanderer aus Kroatien stellten die größte Gruppe der Menschen aus Österreich-Ungarn auf der Titanic. Von einem blieb nur ein letzter Brief, ein Überlebender trat mit seiner Errettungsgeschichte im Zirkus auf.

Der weißbärtige E. J. Smith war bei Crews und Seereisenden hochgeschätzt. Man nannte ihn „the millionaires’ captain“, die obersten Tausend im British Empire und Amerika liebten es, den 62-Jährigen auf der Kommandobrücke zu wissen, wenn sie bei ihren häufigen Atlantiküberquerungen Suiten um 200.000 Euro (nach heutigem Geldwert) buchten. Warum den Kapitän auf der Titanic seine viel gerühmte Seemannschaft verließ und er sich vor dem fatalen Crash mit dem Eisberg nur kurz auf der Brücke zeigte, bleibt bis heute rätselhaft: Smith war einer der 1496 Toten der Katastrophe vom 15. April 1912. Von den Passagieren aus dem damaligen Österreich-Ungarn dürften ihn nur wenige je zu Gesicht bekommen haben: Die meisten von ihnen reisten tief unten im Schiffsbauch in der dritten Klasse, bis zuletzt von den Oberdecks abgesperrt. Österreich-Ungarn hatte von allen Nationen an Bord daher auch eine der geringsten Überlebensraten: 40 Menschen starben, neun konnten sich retten. Von 14 Dänen waren nur zwei unter den insgesamt 712 Geretteten. Noch schlimmer traf es die mehr als 30 Bulgaren, von ihnen überlebte keiner.*)

Aus Kroatien waren 30 Auswanderer auf der Titanic. Ivan Stankovic wollte seiner Familie noch in den letzten Momenten vor dem Ablegen vermitteln, wie stolz er war, auf dem eleganten Luxusliner reisen zu dürfen. Während beim kurzen Zwischenstopp im französischen Cherbourg eilig die vielen Schrankkoffer der amerikanischen Millionenerbin Charlotte Wardle Cardeza an Bord gebracht wurden (profil 4/2012), schrieb der 33-Jährige auf das prächtige Briefpapier der White Star Line eine kurze Nachricht: „Ich melde, dass ich bei dem oben gezeigten Schiff angekommen bin. Vergesst mich nicht!“ Der Brief kam fünf Tage später in seinem Dorf an. Es war der 15. April, und als Ivan Stankovics Familie den feinen Umschlag öffnete, war dieser vermutlich bereits tot.

Wie in vielen Ländern hatten Agenten der White Star Line auch in Kroatien junge Arbeiter und Bauernsöhne geworben, man versprach ihnen ungewohnten Komfort auch in der dritten Klasse der neuen Superschiffe: weiße Tischtücher und frisches Gebäck zu jedem Essen, sogar Badezimmer. Annehmlichkeiten wie der über zwei Deckshöhen reichende Squash-Court für die Luxusreisenden nahmen auf der Titanic den meisten Schiffsraum ein, doch das enge Zwischendeck sollte mit 1100 Passagieren dritter Klasse gefüllt werden (die erste Klasse war für 750, die zweite Klasse für 550 Passagiere zugelassen).

Obwohl vom nahen Rijeka alle zwei Wochen Schiffe der Cunard Line nach New York ausliefen, fuhren schließlich 30 Kroaten durch halb Europa, um bei der Jungfernfahrt der Titanic dabei zu sein. Drei von ihnen konnten sich retten. Einer sollte später mit seiner abenteuerlichen Geschichte Zirkusplakate in den USA schmücken: „Nickola Lulich – ein Überlebender, der seine Rettung aus dem Meer einem Baby in seinen Armen verdankt“.

Für den 29-jährigen Nico Lulic war die Fahrt auf der Titanic bereits die dritte Atlantiküberquerung. Zehn Jahre zuvor war er aus der Armee des alten Habsburgerkaisers desertiert, danach floh er die Armut im steinübersäten Landstrich Lika südöstlich von Zagreb, in die er geboren worden war. Lulic brach nach Amerika auf, verdingte sich jahrelang in einem der typischen Jobs, in denen die jungen, kräftigen, ungelernten Einwanderer Amerika aufbauten: Er arbeitete in der Alpena Mine in Minnesota, wo zu Beginn des 20. Jahrhunderts die ersten Sprengungen durchgeführt worden waren.

Seinen ersten Heimataufenthalt nutzte der erfahrene Emigrant geschickt. Er scharte eine Gruppe von 16 Auswanderungswilligen um sich, für die Hilfe bei der Reiseorganisation finanzierten sie sein Schiffsticket. Aus Kroatien wanderten in diesen Jahren Zigtausende aus, bis 1914 sollten es eine halbe Million werden. Im wirtschaftlich kaum entwickelten Land wirkten sich politische Entscheidungen der Habsburgermonarchie fatal aus: So raubte etwa die in Wien ausgegebene Anordnung, die Einfuhrzölle für italienische Weine radikal zu senken, unzähligen kleinen Weinbauern in Dalmatien schier die Existenz.

Insgesamt machten sich aus der Donaumonarchie ab den 1880er-Jahren zwischen vier und fünf Millionen Menschen auf die Reise nach Übersee, für mehr als die Hälfte von ihnen hieß das Ziel Amerika. Österreich-Ungarn öffnete in den USA 33 Konsulate, um die Millionen an Auswanderern betreuen zu können. Dass manche die großzügigen Ehegesetze nützten, um trotz Familie daheim auch in Amerika zu heiraten, war ein vergleichsweise kleines Problem im vermeintlich goldenen Westen. K. u. k. Attaché Franz Pidoll schrieb 1911 in einem Bericht: In New York ist jeder zweite Tbc-Tote Einwanderer aus der Monarchie; bei tödlichen Arbeitsunfällen in den Fabriken und Minen erhalten Angehörige daheim auch bei Fahrlässigkeit des Arbeitgebers keinen Cent; nur wenige schaffen mit großer Energie und unter glücklichen Umständen ihr Ziel, in einigen harten Jahren Geld zu sparen.

Jene, die sich um Nico Lulic geschart hatten, wussten vermutlich um die Bedeutung des Zusammenhalts in der Fremde. Allein aus dem Dorf Siroka Kula waren neun in der Gruppe, unter ihnen die Landarbeiterinnen Marija und Manda Cacic, 30 und 21 Jahre alt, beide ledig; ein 18-jähriger Bursche und der 38-jährige Luka Cacic: Er hatte neun Kinder – das jüngste war erst einen Monat alt, als sein Vater sich verabschiedete. Außer Nico Lulic sollte keiner von ihnen Amerika sehen.

In der Unglücksnacht suchten viele aus der dritten Klasse ihre letzte Zuflucht im Rosenkranzbeten, denn die mehr als 400 Männer durften erst auf das Oberdeck, als das Schiff bereits knapp vor dem Versinken war. Lulic stand der Sinn nicht nach Beten, er riss einem Offizier die Kappe vom Kopf und kämpfte sich nach oben durch. Darüber, was dann geschah, existieren zwei Versionen. Ein Mitreisender sagte, sein Freund habe es mit der Offizierskappe in eines der letzten Rettungsboote geschafft. Er selbst schilderte seine Rettung ungleich dramatischer. Demnach sprang er ins Meer, packte ein im Wasser treibendes Baby und schwamm mit ihm zu einem Rettungsboot. Das Kind habe man in das Boot genommen, ihn habe man abgewehrt. Erst nachdem eine der geretteten Frauen lebhaft beteuerte, Lulic sei ihr Mann, sei auch er aus dem Meer gezogen worden.

Selbst den Zirkusleuten, die den Überlebenden in ihr Programm nahmen, mag seine Geschichte nicht ganz geheuer gewesen sein. Auf dem Plakat zu Lulics Auftritten stand, der Eintritt würde jener Charity-Organisation gespendet, „die nachweist, dass er während des Desasters nicht an Bord der Titanic gewesen ist“.

In den kroatischen Dörfern verbreiteten sich die schrecklichen Meldungen über den Untergang des Schiffs wie Lauffeuer, bis langsam gewiss wurde, dass so viele dabei umgekommen waren. Der 31-jährigen Mara Osman-Banski muss selbst unerklärlich gewesen sein, wie sie überlebt hatte, und so erzählte auch sie eine wundersame Geschichte. Mara Osman-Banski will sich Kürbisse in die Achselhöhlen gebunden und dann ins Meer gesprungen sein. Im eisigen Wasser habe sie zwei Kinder zu fassen bekommen und mit ihnen endlich ein rettendes Boot erreicht. Die Frau soll sich vom Schock dieser Nacht, in der Tausende ein letztes Mal aufschrien, nie mehr ganz erholt haben.

Für die Angehörigen der Titanic-Opfer war deren Tod eine Katastrophe. Manche hatten sich für das Reisegeld des Sohnes oder Bruders verschuldet, ein Platz in der dritten Klasse kostete mehrere Monatslöhne eines Arbeiters, nach heutigem Wert mindestens 2400 Euro. Die Familien schrieben rührende Bittbriefe, Jahre später bekamen sie die erste Entschädigungsrate ausbezahlt; mit dem Untergang der Monarchie wurde ihr Schicksal vergessen. Als ein Historiker in den 1970er-Jahren in den Dörfern nachfragte, kam in Windeseile das Gerücht auf, er bringe endlich die zweite Rate der Entschädigung (in: Slobodan Novkovic, „Titanic – Hrvati u katastrofi stoljeca“, Zagreb 2005).

Stolz ist man in Kroatien auf die Rolle kroatischer Seeleute bei der Bergung der Titanic-Schiffbrüchigen: Sie waren an Bord der Carpathia, jenes Schiffs, das durch Eisfelder an die Unglücksstelle gedampft war, die Überlebenden der Titanic aus den Booten aufnahm und nach New York brachte. Die Carpathia gehörte der Cunard Line, dem White-Star-Konkurrenten. Nach der Rettungsaktion lief sie in Rijeka ein, um neue Auswanderer nach Übersee zu bringen. Auf dem Deck lagen noch die Schwimmwesten der Geretteten. Eine davon wird diesen Sommer in der Titanic-Ausstellung im Maritim-Museum Rijeka zu sehen sein.

*) Alle verfügbaren Namen und Zahlen hat als Erster der Deutsche Hermann Söldner zusammengestellt, die Listen finden sich auf der Homepage des auf Seriosität bedachten TITANIC-Vereins Schweiz, www.titanicverein.ch

Quelle: Profil (09.03.2012). URL: http://www.profil.at/articles/1210/560/321605/titanic-untergegangene-hof…

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