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« Zeit Online » (21.11.2012): Jugoslawien-Krieg: „Die Serben waren nun mal der Aggressor“

Doch kein Kriegsverbrecher? Der kroatische General Gotovina ist vom Haager Tribunal freigesprochen worden. Sein Anwalt sagt nun im Interview: Die Anklage war zu schlecht.
ZEIT ONLINE: 2011 hat das Jugoslawien-Tribunal den kroatischen General Ante Gotovina zu 24 Jahrenund den Vizeinnenminister Mladen Markac zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt. Nun aber sind sie dochfreigesprochen worden. Wie konnte es dazu kommen?
Kai Ambos: Das erste Urteil stützte sich auf ein vermeintliches kriminelles Unternehmen der kroatischenFührung zur zwangsweisen Vertreibung der Serben aus der kroatischen Provinz Krajina. Die Angeklagtensollen daran beteiligt gewesen sein. Zum direkten Beweis dieser kriminellen Verabredung lag abernur ein Protokoll eines Treffens der kroatischen Führung vor. Dessen Beweiswert war schon wegenÜbersetzungsproblemen vom Kroatischen ins Englische zweifelhaft und sein Inhalt auch sonstmehrdeutig. Deshalb versuchte schon die erste Instanz der konkreten Durchführung der OperationSturm Indizien für ihre Kriminalität entnehmen zu können. Insbesondere warf man den KroatenKriegsverbrechen durch willkürlichen Artilleriebeschuss von Städten in der Krajina vor. Die Kammer hatdas nun übereinstimmend abgelehnt und die Mehrheit der Richter hat daraus den Schluss gezogen, dassdamit auch der Vorwurf von Kriegsverbrechen und eines kriminellen Unternehmens fallen muss.
ZEIT ONLINE: Das Signal, das nun vom Gericht ausgeht, ist: Es gab keine Kriegsverbrechen in Krajina.
Ambos: Kriegsverbrechen im Sinne des Völkerrechts konnten jedenfalls nicht nachgewiesen werden. DieKonstruktion einer Beteiligung der Angeklagten über das ohnehin umstrittene Konzept des „kriminellenUnternehmens“ stand auf zu schwachen Füßen. Da wäre es aus Anklagesicht wahrscheinlichbesser gewesen, man hätte den Angeklagten ein Unterlassen bezüglich eventueller Straftaten ihrerUntergebenen oder eine Beihilfe vorgeworfen.
ZEIT ONLINE: …aus anderen Gründen könnte man also dazu kommen, Gotovina und Markac alsKriegsverbrecher zu verurteilen?
Ambos: Wenn man den absichtlichen Beschuss ziviler Ziele wie etwa in Sarajevo nachgewiesenhätte, hätte man das als Kriegsverbrechen werten können. Daran hatte die Mehrheit der Kammeraber erhebliche Zweifel, und dann muss sie eben „im Zweifel für den Angeklagten“ entscheiden. DieKammer weist sogar auf Dokumente hin, aus denen sich ergibt, dass Gotovina hohen Wert daraufgelegt hat, zivile Opfer und Schäden zu vermeiden. Aus meiner ganz persönlichen Sicht ist Gotovina einprofessioneller Soldat, der es als seine patriotische Pflicht angesehen hat, die Krajina zurückzuerorbernund zwar nach den Regeln des Kriegsrechts. Auch in Markac kann ich keinen Serbenschlächter erkennen.
ZEIT ONLINE: Nach dem Urteil gab es viel Kritik mit dem Tenor: Die Serben landen der Reihe nach imKnast und die Kroaten bekommen Recht.
Ambos: Die Serben waren nun mal der Aggressor und Kroatien hat sich verteidigt. Nach derBombardierung kam es in der Krajina sicherlich zu Verbrechen, das wird von der Kammer und auchvon vernünftigen Kroaten nicht bestritten. Die Frage ist aber, ob die Angeklagten dafür strafrechtlichverantwortlich gemacht werden können. Man kann vielleicht argumentieren, dass sie bestimmte Taten
ihrer Untergebenen hätten verhindern können, aber auch das muss eben bewiesen werden. Übrigens:Selbst wenn man sie wegen Vorgesetztenverantwortlichkeit oder Beihilfe verurteilt hätte, dannhätten sie wohl kaum mehr als sieben oder acht Jahre bekommen – und die haben sie sowieso schonabgesessen.
ZEIT ONLINE: Dann war es also eine schlechte Anklage?
Ambos: Die Anklage hat sich viel zu stark auf die Figur des kriminellen Unternehmens gestützt. Auch dieerste Instanz hat nur deshalb verurteilt. Wäre die Anklagebehörde gleich auf weniger anspruchsvolle undumstrittene Beteiligungsformen gegangen, hätten wir es sicher schwerer gehabt. Möglicherweise hätteman einige Straftaten durch Untergebene während und nach der Bodenoffensive beweisen und denAngeklagten zurechnen können.
ZEIT ONLINE: Jetzt wird es heißen, die Serben sind die Bösen, die Kroaten die Guten. Heizt das Urteil dieLage auf dem Balkan nicht an?
Ambos: Das mag so sein, aber das ist keine Sache eines Strafgerichts. Im Übrigen ist die serbischeHauptverantwortung schon durch das Genozid-Urteil des Internationalen Gerichtshofes und durch vieleandere Urteile des Jugoslawiengerichtshofs klargestellt worden. Es gibt auch verlässliche historischeAufarbeitungen. Die Kroaten sollten das Urteil nicht überinterpretieren und so tun, als ob es bei derOperation Sturm keine Verbrechen gegeben hätte. Das Beste wäre jetzt, wenn sich die Politiker aufbeiden Seiten zurückhielten und vielleicht auch mal das Urteil lesen.
ZEIT ONLINE: Es war der erste Freispruch im Rahmen einer Berufung am Jugoslawien-Tribunal. In denletzten Jahren hat eine enorme Professionalisierung im Völkerrecht stattgefunden. Wird es schwieriger,Kriegsverbrechen nachzuweisen?
Ambos: Es kommt bei solchen völkerstrafrechtlichen Verfahren immer sehr auf die Richter an.Orientieren sie sich beispielweise an einer militärischen Sichtweise, die einen möglichst großenSpielraum in bewaffneten Konflikten verlangt, oder legen sie mehr Wert auf das humanitäre Zielmöglichst geringer ziviler Opferzahlen? Was die Legitimität dieser Gerichte angeht, ist entscheidend,dass es ein faires Verfahren gibt. Dazu zählt vor allem, die Schuld der Angeklagten auch „jenseitsvernünftiger Zweifel“ nachzuweisen.
ZEIT ONLINE: Sind Sie persönlich zufrieden, dass Ihr Mandant frei gekommen ist?
Ambos: Es ist professionell ein Erfolg, natürlich gewinnt man lieber als zu verlieren. Ich hatte auch keinemoralischen Bedenken, als ich von der kroatischen Regierung angesprochen wurde. Ich habe in meinerhistorischen Lesart die Rückeroberung der Krajina immer als legitimen Verteidigungskrieg angesehen.
ZEIT ONLINE: Wird es im Jugoslawien-Tribunal jetzt weitere Berufungen geben?
Ambos: Das Gericht wird bald geschlossen. Und die Prüfkompetenz der Berufungsinstanz ist ohnehinsehr eingeschränkt. Da gilt ein ganz strenger Maßstab. Dies war der letzte große Kroatien-Fall.
Quelle: « Zeit Online » (21.11.2012).

URL: www.zeit.de/politik/ausland/2012-11/Kroatien-Serbien-Gotovina-Urteil-Kriegsverbrechen

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