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Europäische Willkür auf dem Balkan bringt die Union in Gefahr

Mit der Unterstützung der Anklage der kroatischen Generäle hat die EU viel guten Willen in diesem Balkanstaat verloren sowie den eigenen moralischen Zerfall offenbart.

Als das Tribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag die kroatischen Generäle Ante Gotovina und Mladen Markač zu hohen Haftstrafen von 24 bzw. 18 Jahren verurteilt hat, stand ganz Kroatien Kopf. Am Wochenende nach der Urteilsverkündung wurden in vielen kroatischen Städten Massenproteste organisiert. Das Gericht erklärte die Generäle verantwortlich für Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der Operation „Sturm“ im August 1995 in Kroatien. Während dieser Militäraktion ist die kroatische Armee in das Gebiet der Krajina, dem süd-kroatischen Grenzgebiet, welches weitgehend von ethnischen Serben bewohnt war, eingedrungen und befreite es von der serbischen Miliz, die die Region seit dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawien kontrollierte.

Die kroatischen Demonstranten waren wütend wegen der hohen Haftstrafen und der Tatsache, dass durch dieses Urteil das kroatische Volk als Aggressor dargestellt wird. Sie sind der Meinung, dass die Kroaten durch diese militärische Aktion lediglich ihr eigenes Territorium von der serbischen Besatzung befreien wollten.

Während der Proteste waren anti-europäische Befindlichkeiten deutlich. So wurde mehrfach die Fahne der EU verbrannt, was an sich schon eine beängstigende Tatsache darstellt. Sehr interessant ist, dass die Medien in den Niederlanden diesen Ereignissen nur sehr wenig Aufmerksamkeit schenkten. Dass die Proteste nicht gegen den Westen gerichtet waren, zeigt die Tatsache, dass die Demonstranten neben der kroatischen auch die amerikanische Flagge hissten. Kroatiens Sympathie gegenüber den Vereinigten Staaten ist verständlich. Die Amerikaner waren diejenigen, die sich für den NATO-Beitritt Kroatiens einsetzten und sich während des Konflikts im ehemaligen Jugoslawien für Frieden eingesetzt haben.

Die Europäische Union hat mit der Vergabe des Kandidatenstatus an die Staaten des ehemaligen Jugoslawien die Gerichtsprozesse des Den Haager Tribunals gegen Kriegsverbrecher mit dem Beitritt zur EU verbunden. Die EU unterstützte das UN-Tribunal in der Behauptung, dass alle beteiligten Parteien die gleiche Verantwortung für die Gewalt im ehemaligen Jugoslawien tragen. Eine solche neutrale Haltung erwies sich jetzt als kontraproduktiv. Es ist unbestreitbar, dass Kriegsverbrecher aus dem ehemaligen Jugoslawien „hinter Gitter“ müssen, doch stellt sich in diesem Fall die schmerzhafte Frage, ob diese Generäle als „Kriegsverbrecher“ charakterisiert werden können. Sie selbst haben nämlich keine Verbrechen auf ihrem Gewissen.

Das Urteil des Gerichts zeigt einen direkten Zusammenhang zwischen den Menschenrechtsverletzungen in der Krajina während der Operation „Sturm“ und dem geheimen Treffen auf den Brijuni-Inseln unter der Leitung des verstorbenen Präsidenten Tuđman und der militärischen und polizeilichen Führung, das Ende Juli 1995, kurz vor der militärischen Aktion stattfand. Bei diesem Treffen sollen angeblich geheime Entscheidungen über die ethnische Säuberung der Serben aus der Krajina getroffen worden sein.

Allerdings ist dieser direkte Zusammenhang nicht überzeugend. Das Gericht hat bis heute keine belastenden Dokumente, Audio- oder Video-Material. Darüber hinaus gab es laut Militär-Experten während der Operation „Sturm“ nur ein ziviles Opfer. Schlussfolgerung hätte demnach sein müssen, dass es wegen des disziplinierten Verhaltens der kroatischen Armee relativ wenige zivile Opfer während dieser hässlichen Episode des jugoslawischen Konflikts gab.

Das Urteil gegen die kroatischen Generäle überlappt sich zufälligerweise mit der Endphase der EU-Verhandlungen Kroatiens. Dies hat  Leidenschaften erweckt. Kroatien und die EU rechnen mit dem Abschluss der Beitrittsverhandlungen im Juni. Danach dürfen die Kroaten bei einem Referendum über den EU-Beitritt entscheiden. Umfragen zeigen jedoch seit längerem, dass immer weniger Kroaten für einen EU-Beitritt sind, wozu das Urteil aus den Haag noch mehr beigetragen hat. Daher kann es leicht passieren, dass jenes Beitrittsland, welches das längste und intensivste „screening und monitoring“ jemals durchlaufen musste, nun nicht in der Lage sein wird, das eigene Volk vom Beitritt zu überzeugen.

Dies wäre nicht nur ein Schlag gegen die kroatischen Reformer, sondern auch gegen diejenigen, die meinen, dass das erwachsene Europa im 21. Jahrhundert eine wichtige Rolle auf der Weltbühne spielen muss und dass in diesem Sinne die Integration des Balkans von europäischer Bedeutung sei. Das Anzünden der Europa-Flagge auf Kroatiens Plätzen ist mehr als eine chemische Reaktion. Es zeigt den moralischen Zerfall der Union selbst, die es offensichtlich erneut nicht geschafft hat, sich von der politischen Willkür zu befreien, gegen die sie angeblich im Gegensatz zu anderen großen Mächten kämpft. Mehr noch war der Kampf gegen die politische Willkür einer der wichtigsten Ausgangspunkte für die Gründung der EU.

László Marácz ist Universitätsprofessor am Lehrstuhl für Osteuropa der Universität Amsterdam

Quelle: Reformatorisch Dagblad (03.05.2011). URL:http://www.refdag.nl/opinie/europese_willekeur_op_de_balkan_brengt_unie_…

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